Lebensaltersstufen und Zeitvorstellungen im Trecento

Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch

Das Alter(n) gehört zu den biologischen Grundbedingungen des menschlichen Lebens. Als Lebenszeit und als Lebensphase ist das, was als Alter begriffen wird, gleichzeitig eine soziale und kulturelle Konstruktion, mittels derer Lebensalltag, soziale Zusammenhänge und biografische Perspektiven strukturiert werden. Dabei sind bildliche Darstellungen und Artefakte als Teil unserer Kultur zugleich Teil eines Formenschatzes, der kulturspezifisch in unser kollektives Gedächtnis eingegangen ist und unsere heutigen Vorstellungen vom Alter(n) prägt. Eine kursorische Zusammenstellung von Darstellungen des Lebensalters in illuminierten Handschriften bis zum 15. Jahrhundert legt nahe, dass die Wahl von bestimmten Einteilungen des Lebensalters – in drei, vier, sechs, sieben, zehn Abschnitte – offenbar im Zusammenhang mit spezifischen Themen erfolgte. Die Alterseinteilungen suggerieren zwar Ordnung und Berechenbarkeit des menschlichen Lebenszyklus‘, teilen ihn sinnhaft in Beziehung zur Natur, zum Kosmos oder zur Heilsgeschichte in Abschnitte ein – doch wechseln sowohl die Bezüge zu verschiedenen Zeitsystemen (kosmische, biblische, heilsgeschichtliche) als auch die Darstellungsformen. Ausgehend von meinen letzten Forschungen zu dem Stundenbuch des Francesco da Barberino (entstanden in Padua, 1304–1309) möchte ich anhand mittelalterlicher illuminierter Handschriften des 13.–15. Jahrhunderts (Psalter, Stundenbücher, Enzyklopädien etc.) untersuchen, wodurch die Anzahl verschiedener Lebensalter in der bildlichen Darstellung beeinflusst wird, welche zeitlichen Rhythmen und Zeitvorstellungen damit verbunden sind, und in welcher Weise bereits im Mittelalter geschlechtsspezifische Konstruktionen von Lebensaltersstufen den sozialen Konstruktionen der mittelalterlichen Gesellschaft entsprechen.

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