Call for Papers: Porosität der Stadt  Porosität des Bildes. 
Walter Benjamin und Neapel (1925–2025)

Stellenangebot vom 10. September 2024

Rom, 10.–11. April 2025

Am 25. August 1925 veröffentlichten der Philosoph Walter Benjamin und die Dramatikerin Asja Lācis in der Frankfurter Zeitung einen bahnbrechenden Aufsatz über Neapel. Der Aufsatz hat nicht nur die Wahrnehmung des Stadtbildes verändert, sondern auch eine neue Kategorie des Denkens definiert. In einer bekanntesten Passagen heißt es:

„Porös wie dieses Gestein ist die Architektur. Bau und Aktion gehen in Höfen, Arkaden und Treppen ineinander über. In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden.“

Für die Stadt Neapel ist die Metapher der Porosität im Laufe der Zeit zu einem zentralen Interpretationswerkzeug verschiedener kultureller Aspekte geworden, von der künstlerisch-architektonischen Verschmelzung von Palästen und Familienkapellen bis zur Darstellung der Interaktion zwischen Innen- und Außenräumen im Film. Die Metapher hat sich so weit verbreitet, dass sie Gefahr läuft, zum nächsten Stereotyp über das neapolitanische Leben zu werden.

In einem breiteren Kontext hat der Begriff die Grenzen der süditalienischen Stadt überschritten und ist zu einem wiederkehrenden Thema in der internationalen Stadtplanung und Architekturforschung geworden. Das städtische Gefüge von Teheran, Bangkok und Rio de Janeiro zum Beispiel wurde im Lichte dieses Konzepts neu überdacht. Stadtpläne für Paris und Palermo sind unter dem Motto der Porosität entwickelt worden. Mehrere ehrgeizige architektonische Projekte haben sich ausdrücklich das Konzept der Porosität zu eigen gemacht, um die Trennung zwischen Milieus und sozialen Klassen aufzuheben. Dies reicht bis zur Entstehung einer neuen geologischen und speläologischen Perspektive auf die Materialität von porösem Stein und Hohlraumarchitektur.

In der Philosophie wird der Begriff seit langem innerhalb von Benjamins Denken erforscht und mit anderen Konzepten wie dem „Denkbild“ – der porösen Verbindung von Bild und Gedanke – in Verbindung gebracht. Er hat sich zudem zu einer Kategorie innerhalb der phänomenologischen Wahrnehmung und der politischen Transformation von Grenzen in Schwellen entwickelt. Die Wiederveröffentlichung des vollständigen Aufsatztextes im Jahr 2020 hat die Diskussion über das Buch wiederbelebt.

100 Jahre nach seiner Veröffentlichung möchte die Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom die zeitgenössische Rezeption des Aufsatzes in einem vielschichtigen Workshop bewerten. Die Initiative bietet die Gelegenheit, den Begriff der Porosität in seinem Kern neu zu definieren, Stereotypen in Frage zu stellen und sein bisher ungenutztes Potenzial zu erkunden. In welchen Bereichen Neapels erfüllt das Konzept der „Porosität“ seine hermeneutische Funktion nicht mehr? Kann man in einer Zeit, die vom touristischen Image der Stadt geprägt ist, noch von einem „porösen Neapel“ sprechen? Wie kann die Relevanz dieses Konzepts über seine ursprüngliche Verbindung mit Neapel hinaus erweitert werden?

Die Beiträge können jeden Aspekt des Essays und seiner Rezeption untersuchen.

Zu den Themen von besonderem Interesse gehören Benjamins und Lācis’ Philosophien sowie ihre historisch-künstlerischen Kontexte. Wir freuen uns über Beiträge, die den Einfluss des Essays auf zeitgenössisches Denken sowie die Darstellung der Stadt in Literatur und Kunst untersuchen.

Mit Bezug auf die Autoren können die Beiträge beispielweise die Entstehung und Entwicklung der Begriffe „Porosität“ und „Durchdringung“ untersuchen; Benjamins Darstellung von Neapel im Vergleich zu Berlin, Moskau und Paris analysieren; Benjamins Kritik an Karl Baedeker und seine Verwendung der Essayform als Gegenentwurf zu traditionellen Reiseführern beleuchten; die Beziehung zwischen Ruinen und barocker Allegorie erforschen; die Theatralität Neapels untersuchen, wie sie sich in den Werken von Asja Lācis sowie in den Drehbüchern von Mejerchol’d und Piscator widerspiegelt; die gemeinsame Arbeit über Neapel durchleuchten, an der Alfred Sohn-Rethel, Theodor Adorno, Siegfried Kracauer und Ernst Bloch beteiligt waren; die Erkundung der Porosität über den Rahmen des Essays von Benjamin und Lācis hinaus vorantreiben.

Im historisch-künstlerischen Kontext können die Beiträge beispielweise folgende Themen erforschen: die Durchlässigkeit städtischer Räume (sowohl zivil als auch religiös); die Permeabilität von Materialien (wie Tuffstein, das geölte Papier von Altären und Stoffe von Vorhängen); Darstellungen der Porosität Neapels in Fotografie und Film vom frühen 20. Jahrhundert bis heute; die architektonische Dichotomie zwischen der oberen und unteren Welt; die Darstellung von Neapel durch Bilder von Thebäern und dem Kraal der Hottentotten; die globale Anwendung von Porosität als interpretatives Konzept in der zeitgenössischen Architektur.

 

Bewerbungen in Italienisch, Deutsch und Englisch sind willkommen.

Bitte reichen Sie bis zum 30. Oktober 2024 einen Abstract von bis zu 500 Wörtern sowie einen kurzen Lebenslauf an folgende Adresse ein:

https://recruitment.biblhertz.it

Unterkunfts- und Reisekosten für die Referenten werden übernommen.

Der Workshop findet am 10. und 11. April 2025 in der Bibliotheca Hertziana in Rom statt.

 

Veranstalter: Elenio Cicchini, Tanja Michalsky

In Zusammenarbeit mit

Librerie Dante & Descartes Neapel

Goethe-Institut Neapel

AWB – Associazione Italiana Walter Benjamin

IISF – Istituto Italiano per gli Studi Filosofici, Neapel

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