Die Kunst des Schenkens: Der diplomatische Gabentausch zwischen europäischen Fürstenhöfen des 16. Jahrhunderts

Forschungsbericht (importiert) 2008 - Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte

Autoren
Kubersky-Piredda, Susanne
Abteilungen
Zusammenfassung
Ein Forschungsprojekt der Bibliotheca Hertziana in Rom beschäftigt sich mit dem Austausch diplomatischer Geschenke zwischen Italien und Spanien im 16. Jahrhundert. Italienische Fürsten offerierten dem spanischen König Philipp II. Kunstgegenstände, um ihre politische Loyalität zu beweisen und sich im höfischen Ränkespiel in Szene zu setzen. Die Agenten, die die Geschenke übermittelten, mussten mit den politischen Geschehnissen und den internen Machenschaften des Hofes vertraut sein. Philipp II. schickte in den 1580er-Jahren einen Hofnarren, Gonzalo de Liaño, zu diplomatischen Missionen nach Italien. Die Korrespondenz dieser Persönlichkeit bietet neue Einblicke in die Hofkultur der frühen Neuzeit.

Der spanische König Philipp II. (1527–1598) war der mächtigste Herrscher seiner Zeit. Er ist nicht nur als strenger Fürst und tiefgläubiger Verfechter des Katholizismus im Zeitalter der Gegenreformation in die Geschichte eingegangen, sondern auch als leidenschaftlicher Förderer und Liebhaber der Künste. Das eindrucksvollste Zeugnis seiner Kunstpatronage ist der ab den 1580er-Jahren errichtete und aufwendig ausgestattete Escorial, ein riesiger Baukomplex, der die Funktionen eines Klosters und einer Herrscherresidenz in sich vereinte. Inventare bezeugen, dass der Monarch zudem über eine Kunstsammlung von geradezu unvorstellbaren Ausmaßen verfügte. Diese umfasste, entsprechend der Tradition der Kunst- und Wunderkammern, nicht nur Gemälde und Skulpturen, sondern auch Goldschmiedearbeiten, wissenschaftliche Instrumente, Landkarten, Bücher, Münzen und Medaillen, Möbel, Wandteppiche, Musikinstrumente und zahlreiche weitere wertvolle Artefakte und Raritäten. Nur wenige dieser Objekte war eigens für die königliche Sammlung angekauft worden, die meisten waren entweder als Erbstücke oder aber als diplomatische Geschenke in den Besitz des Hofes gelangt.

Gabentausch als Form der Diplomatie

Der regelmäßige und umfangreiche Austausch von Geschenken war in jener Zeit ein fester Bestandteil der diplomatischen Beziehungen zwischen den europäischen Fürstenhöfen. Voraussetzung für diese Praxis war das ständige Gesandtschaftswesen, das im 15. Jahrhundert zunächst in Italien und schließlich in ganz Europa eingeführt wurde. Dazu wurden Botschafter an die verschiedenen Höfe entsandt, die dort längerfristig ansässig blieben. Der diplomatische Gabentausch sollte politische Bündnisse festigen, Loyalität und gegenseitigen Respekt unterstreichen, verfolgte aber auch konkrete Repräsentations- und Machtstrategien. Die Auswahl, Darbringung und eventuelle Erwiderung von Geschenken war häufig eine diplomatische Gratwanderung, denn jede Gabe musste im Wert und Umfang sowohl dem sozialen Rang des Schenkers als auch dem des Empfängers angemessen sein. Zu berücksichtigen waren politische Hierarchien ebenso wie die höfische Etikette. Alle Geschenke sollten ein Abbild der Großzügigkeit und Freigebigkeit des jeweiligen Spenders sein, denn Liberalitas (Freigebigkeit) und Magnificentia (Großartigkeit) zählten in der Renaissance zu den wichtigsten Tugenden eines idealen Fürsten. Kunstgegenstände eigneten sich besonders gut als diplomatische Gaben. Ihr hoher Materialwert und ihre prachtvolle Gestaltung dienten der wirkungsvollen Selbstinszenierung des Schenkers. Sie konnten auch eine besondere inhaltliche Bedeutung haben und nonverbale Botschaften übermitteln.

Die Auswahl und Gestaltung diplomatischer Gaben oblag nicht allein dem Schenker. Wohl wissend, dass die ihm untergebenen Fürsten ihm regelmäßige Offerten schuldeten, war es häufig der spanische König selbst, der die Geschenke einforderte und dabei gezielt seine Sammlerinteressen bediente. Um Kunstwerke und Kostbarkeiten als Geschenke zu beschaffen, hatte Philipp II. in ganz Europa ein Netzwerk von Beratern und Agenten aufgebaut. Sie vermittelten geschickt zwischen den verschiedenen Parteien und waren mit den offiziellen politischen Geschehnissen ebenso vertraut waren wie mit den internen Machenschaften der Höfe.

Der Hofnarr als Mittelsmann

Philipp II. hatte eine besondere Vorliebe für die italienische Kunst und Kultur. In den 1580er-Jahren setzte er gezielt einen seiner kleinwüchsigen Hofnarren, Gonzalo de Liaño, als Mittelsmann ein, um diplomatische Geschenke aus Italien zu erwerben. Der Narr, der aufgrund seiner kleinen Statur meist Gonzalillo gerufen wurde, unternahm innerhalb eines Jahrzehnts fünf lange Reisen nach Italien und importierte von dort alles, was er an Kunstwerken, Kuriositäten und Informationen nur bekommen konnte. Er bereiste zahlreiche Städte, hielt sich aber besonders ausgiebig am Hof der Medici in Florenz auf.

In mehrjährigen Archivstudien in Italien und Spanien wurden hunderte von Briefen gefunden, die Gonzalo de Liaño an Mitglieder der Familie Medici und zahlreiche andere hochgestellte Persönlichkeiten geschrieben hat. Dieses der Forschung bislang vollkommen unbekannte Quellenmaterial bietet faszinierende Einblicke in die Hofkultur und Diplomatiegeschichte der frühen Neuzeit. Äußerlich fällt an Gonzalillos Briefen als erstes seine große, etwas ungelenke Unterschrift ins Auge, die beweist, dass er selbst des Schreibens nicht mächtig war und seine Briefe einem Schreiber diktieren musste. Stilistisch zeichnen sich die Schriftstücke durch einen überraschend persönlichen Tonfall aus, den der spanische Narr selbst Fürsten gegenüber anschlug (Abb. 1). Mit ihren erheiternden und teilweise derben Inhalten tragen die Texte vielfach anekdotenhafte Züge.

Die Aufgaben des Hofnarren Gonzalo de Liaño am Hof Philipps des II.

Zu Zeiten Philipps II. war das Hofnarrenwesen ein seit Jahrhunderten verbreitetes Phänomen. Alle Fürsten, aber auch zahlreiche Adelige und Kleriker hielten einen oder mehrere Narren in ihrem Haushalt, und nicht selten gehörten diese sogar zum engsten Gefolge ihres Herrn. Zahlreiche Porträts des 16. und 17. Jahrhunderts zeugen von dem durchaus ehrwürdigen Erscheinungsbild dieser Höflinge (Abb. 2). Wie alle Zwerge und Narren genoss auch Gonzalo de Liaño zahlreiche Freiheiten innerhalb der höfischen Hierarchie und konnte es sich erlauben, die strengen Regeln der Etikette einfach zu ignorieren. Als einer der engsten Vertrauten Philipps II. verbrachte er mehrere Stunden täglich alleine mit dem König und seinen Kindern und sorgte für ihre Unterhaltung mit Spielen und Scherzen, vor allem aber mit ausführlichen Berichten über seine Italienreisen. Mithilfe eines großen Stadtplanes und eines Zeigestockes erklärte er dem Monarchen die Paläste und Sehenswürdigkeiten von Florenz und informierte ihn bis ins Detail über italienische Architektur und Kunst, über Politik und Kultur und sogar über die Ess- und Freizeitaktivitäten der italienischen Zeitgenossen. Den Infanten hingegen vertrieb der Hofnarr die Zeit mit Brett- und Kartenspielen, vor allem mit dem heute noch in ganz Europa bekannten „Gänsespiel“, das er erstmals aus der Toskana an den spanischen Hof gebracht hatte. Die sehr intimen Einblicke, die Gonzalillos Korrespondenz in die privaten Mußestunden Philipps II. bietet, lassen den von der Historiographie traditionell als frommen, strengen und humorlosen Menschen charakterisierten Herrscher in einem völlig neuen Licht erscheinen.

Für seine Aufgaben als Beschaffer edler Sammlungsstücke aus Italien brachte Gonzalo de Liaño weder eine humanistisch-antiquarische Bildung noch besondere kaufmännische Fähigkeiten mit. Seine Stärken bestanden hingegen in seiner Menschenkenntnis, seinen freundschaftlichen Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten und Künstlern, seinem humorvollen Charakter und seinem großen Verhandlungsgeschick. Gonzalos Briefwechsel mit Francesco I. de’ Medici und dessen Frau Bianca Cappello vermittelt einen konkreten Eindruck von seiner Arbeitsweise als Agent. Als sympathischer Unterhaltungskünstler erfreute sich der Narr bei dem Florentiner Großherzogspaar großer Beliebtheit, ja pflegte sogar eine innige freundschaftliche Beziehung zu ihm. Während seiner oft mehrmonatigen Aufenthalte in der Toskana unterstützte er die Medici dabei, diplomatische Geschenke auszuwählen und vorzubereiten, mit denen diese ihre Allianz zu Philipp II. zu stärken hofften. Es konnten ganz unterschiedliche Objekte sein: Tafelbilder und Skulpturen, Reliquiare, Möbel und Textilien bis hin zu astronomischen Instrumenten, botanischen Zeichnungen, Medikamenten und lebenden Tieren.

Florenz als Kunstmetropole im 15. und 16. Jahrhundert

Florenz war im 15. und 16. Jahrhundert eines der bedeutendsten Kunstzentren Europas. Neben Gemälden und Skulpturen wurden in Florentiner Werkstätten auch Objekte der Gebrauchskunst von unterschiedlichster Form und Machart produziert, so beispielsweise wertvolle Einlegearbeiten aus Halbedelsteinen (Pietre Dure) und prächtige Wandteppiche (Arazzi). Der kunstbeflissene und experimentierfreudige Großherzog Francesco de’ Medici hatte eine ganze Heerschar von hoch spezialisierten Kunsthandwerkern aus ganz Europa an seinen Hof gerufen. Seine Geschenke an Philipp II. waren darauf angelegt, die ganze Bandbreite der Florentiner Kunstproduktion repräsentativ darzustellen. Einige der in Gonzalos Briefen beschriebenen Gaben haben in heute noch existierenden spanischen Kunstsammlungen die Zeit überdauert.

Unter den Skulpturen, die die Medici als diplomatische Geschenke an den spanischen Hof sandten, befand sich das berühmte Marmorkruzifix von Benvenuto Cellini, das in der Kirche von San Lorenzo im Escorial zu sehen ist (Abb. 3). Zu den Gemälden zählten zahlreiche Leinwandbilder des Florentiner Hofmalers Alessandro Allori, darunter eine Heilige Familie, die heute im Prado hängt (Abb. 4). Aus den mediceischen Goldschmiedewerkstätten kamen liturgische Geräte und Reliquiare, wie sie der tiefgläubige Philipp II. besonders schätzte. Erwähnenswert ist eine Monstranz mit Reliquien des heiligen Laurentius, für die der Architekt Bernardo Buontalenti Entwürfe lieferte. Als Beispiel für die Alabasterproduktion in der toskanischen Stadt Volterra schenkte Francesco I. dem spanischen König ein noch heute im Escorial befindliches Alabasterziborium (Gefäß zur Aufbewahrung der Hostien) mit gemalten Darstellungen der vier Evangelisten (Abb. 5). Gonzalillo setzte sich bei den Medici erfolgreich dafür ein, dass eine Kopie des meistverehrten Florentiner Marienbildes, des wundertätigen Verkündigungsfreskos aus der Basilica della Santissima Annunziata, an den spanischen König versandt wurde. Die von Allori angefertigte Replik befindet sich im oberen Kreuzgang des Escorial (Abb. 6). Zu den bildhauerischen Arbeiten, die als Staatsgeschenke nach Madrid gingen, gehörten auch einige Porphyrreliefs aus der Werkstatt des Bildhauers Francesco Ferrucci, genannt Il Tadda, der sich auf die höchst schwierige Verarbeitung dieses extrem harten Steines spezialisiert hatte.

Doch taugten nicht nur Kunstwerke als diplomatische Geschenke. Philipp II. und Francesco I. de’ Medici hatten gemeinsame naturwissenschaftliche Interessen, und so kam es, dass der Florentiner Großherzog eine Reihe von botanischen Zeichnungen aus der Hand Jacopo Ligozzis nach Spanien schickte. In der Bibliothek des Escorial steht noch heute eine riesige Armillarsphäre (astronomisches Instrument zur Messung von Himmelskoordinaten oder zur Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern), die als Geschenk Ferdinando de’ Medici an den Hof Philipps II. gelangte. Errichtet hatte sie der Florentiner Hofkosmograph Antonio Santucci delle Pomarance (Abb. 7). Manche Geschenke waren auch für das körperliche Wohlbefinden des spanischen Königs bestimmt. Nachdem er erfahren hatte, dass Philipp II. an Parodontose litt, schickte Francesco I. ihm regelmäßig ein aus Kräutern angefertigtes Mundwasser. Zum Transport wurde es in Ampullen aus Florentiner Porzellan abgefüllt (Abb. 8).

Originalveröffentlichungen

1.
F. Bouza:
Locos enanos y hombres de placer en la corte de los Austrias.
Ediciones Temas de Hoy. Madrid 1991.
2.
Diverse (Ausstellungskatalog):
Felipe II, un monarca y su época. Un príncipe del Renacimiento.
Museo Nacional del Prado, Madrid 1998.
3.
R. Mulcahy:
Philip II of Spain Patron of the Arts.
Four Courts Press, Dublin 2004.
4.
S. Kubersky-Piredda, S. Salort Pons:
Art Collecting in Philip II’s Spain: the Case of Gonzalo de Liaño, King’s Dwarf and Gentleman of the Bedchamber.
The Burlington Magazine 148, 660–665 (2006), und 149, 224–231 (2007).
5.
S. Kubersky-Piredda, S. Salort Pons:
‘Se bene è cosa ordinaria (…), sarà gratissimo’ – Un ciborio di alabastro in dono a Filippo II di Spagna.
Rassegna Volterrana 84, 235–248 (2007).
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