Lineamenta

Bauten spielen eine besondere Rolle im öffentlichen Raum. Ihre Wahrnehmung ist unmittelbar, ihre Wirkung prägend. Architektur markiert und verdeutlicht sozialen und politischen Wandel, gerade weil sie Kunst in Funktion ist. Die Selbstdarstellung von Herrschaftsformen und die Ablesbarkeit sozialer und gesellschaftlicher Veränderungen ist stärker und öffentlicher als in jeder anderen Kunstgattung nachvollziehbar. Grundlage der Entschlüsselung dieser komplexen Zusammenhänge sind für die kunsthistorische Analyse eine möglichst umfassende Auswertung von Archivquellen und schriftlicher Überlieferung sowie die Auswertung von graphischem Material zur Rekonstruktion der jeweiligen Planungs- und Baugeschichte. Die Fülle erhaltener Skizzen und Zeichnungen italienischer und vor allem römischer Bauten bietet dafür beste Voraussetzungen. Es lag daher nahe sie mit Hilfe hochauflösender Scans virtuell zusammenzuführen, um Entwurfsprozesse rekonstruieren und alte Bauzustände dokumentieren zu können. Zu diesem Zweck wurde ab 2000 die Datenbank Lineamenta eingerichtet.

Lineamenta ist speziell auf das wissenschaftliche Studium der Architekturzeichnungen der Frühen Neuzeit zugeschnitten. Ihren Schwerpunkt bilden die italienischen Architekturzeichnungen vornehmlich des 17. und 18. Jahrhunderts, die von Italienern, aber auch auswärtigen Architekten während ihrer Italienreisen ausgeführt wurden. Diese Zeichnungen sind heute auf Sammlungen in ganz Europa und Nordamerika verstreut. Ihre lange komplexe Sammlungsgeschichte ist auch Teil einer Kulturgeschichte und lässt erahnen, welche außerordentlich wichtige Rolle die Architekturzeichnung als Medium für die Verbreitung der italienischen Architekturkultur in Europa und Nordamerika hatte. Andererseits erschwert die breite Streuung des Materials das Studium der ursprünglichen Entstehungskontexte, aber auch das Studium der Architekturzeichnungen selbst. Lineamenta hat das Ziel, die Zeichnungen virtuell zusammenzuführen, in Wort und Bild zu dokumentieren, mit weiteren Bild- und Archivquellen sowie den zugehörigen Bauwerken zu vernetzen und der Forschung zugänglich zu machen. Dank hoher technischer Standards steht den Wissenschaftlern zudem eine der originalen Zeichnung gleichkommende Bildqualität über das Internet zur Verfügung. So ist es möglich, Architekturzeichnungen als Kunstwerke, Planungsmittel und Kommunikations- bzw. Publikationsmedien zu untersuchen und ihre Rolle für die Entwicklung und Verbreitung architektonischer Konzepte zu ergründen. Auch das Erstellen von Visualisierungen und von 3D-Modellen wird möglich (siehe das im Rahmen des EU-Programms "Culture 2000" von Hermann Schlimme und Günther Eger realisierte
Modell nach Zeichnungen von Filippo Juvarra).

Wenn möglich, werden die Zeichnungen in Höchstauflösung digitalisiert; das System ist auch mobil vor Ort in Sammlungen einsetzbar. Gleichzeitig werden Datensätze zu den Zeichnungen erstellt und die Wasserzeichen dokumentiert. Über die Erfassung der zeichnungspezifischen Daten hinaus werden zusätzlich Daten zu Personen, Institutionen, Archivalien, Literatur und Projekten aus der Forschungsliteratur erschlossen, sodass ein dichter Datenbestand zur römischen Architekturszene des 17. und 18. Jahrhunderts entsteht.

Lineamenta war der Ausgangspunkt für die institutseigene Entwicklung des übergreifenden Datenbanksystems ZUCCARO, das ab 2007 zu einer gemeinsamen Plattform mit der Datenbank ArsRoma wurde. Das dadurch neben dem Anwachsen der Daten zu Zeichnungen und Bauten besonders starke Wachstum personenbezogener Daten zeigt die Eignung des Systems auch für prosopographische Fragestellungen. Die Konsultation ist für gewisse Bereiche auf Wunsch der jeweiligen Sammlungen mit Passwort geschützt und in einer Arbeitsversion via Internet konsultierbar. Für die beiden Datenbanken wurde eine eigene Oberfläche eingerichtet.
Durch die zusätzliche Differenzierung von Beschreibungen und Kommentaren kann deren Ansicht bei den gemeinsam benutzten Datensätzen auf den jeweiligen Projektzugang beschränkt werden.

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