Ordnung und Konstruktion der Kunstgeschichte einer Stadt. Pietro Summontes Brief zur Kunst in Neapel (1524)

Wie lässt sich auf wenigen Seiten die Kunstgeschichte einer gesamten Stadt beschreiben? Dieser Herausforderung stellte sich Pietro Summonte in seinem Brief an Marcantonio Michiel und skizzierte – gut 25 Jahre vor dem Erscheinen von Vasaris Viten – ein vielschichtiges Bild der Kunst und Architektur Neapels. Als eigenständiges kunstliterarisches Zeugnis bislang nicht systematisch untersucht, wird der Brief nun von einer Gruppe von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher fachlicher Herkunft einem close-reading unterzogen.

1524 verfasste der neapolitanische Humanist Pietro Summonte einen knapp 20-seitigen, in mehreren Abschriften überlieferten Brief, in dem er über die Kunst Neapels berichtet. Der Adressat des Briefes, der venezianische Humanist und Kunstsammler Marcantonio Michiel, hatte seinen Bekannten um Informationen zur Geschichte und Kunst des antiken und modernen Neapels gebeten, die er für sein – nie realisiertes – Projekt einer Sammlung von Beschreibungen der wichtigsten Städte der italienischen Halbinsel benötigte. Summonte schrieb eine erste kleine Geschichte der neapolitanischen Kunst, in der historiographische Konzepte, die Etablierung von Stilkategorien und Gattungshierarchien, sowie Genealogien und Künstleranekdoten eine wichtige Rolle spielen. Chronologie und Gattung (Malerei, Skulptur und Architektur) sind die Ordnungsschemata anhand derer die als erwähnenswert erachteten Kunstwerke und Monumente der Stadt organisiert werden. Der Autor stellt seine Gegenstände stets in einen transkulturellen Rahmen, wobei insbesondere Venedig, Florenz, Katalonien und Flandern wichtige Referenzpunkte bilden. Im Text sind zudem Überlegungen zu der von Kronprinz Alfons von Kalabrien, dem späteren König Alfons II., geplanten städtebaulichen Neuordnung Neapels enthalten sowie ein Abschnitt zu den antiken Bauten in Neapel und Umgebung, einschließlich der Ruinen von Paestum. Als frühes Zeugnis der Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts, begünstigt durch seine kolloquiale Form als Brief, erlaubt es der Text, die Herausbildung von Begriffen und Kategorien vor der Veröffentlichung von Vasaris Viten (1550) zu untersuchen.

Bis auf wenige Ausnahmen wurde der Brief bislang von der Forschung ausschließlich als Informationsquelle für Fragen von Datierung oder Autorschaft herangezogen, ohne dabei selbst zum Untersuchungsgegenstand zu werden. Der deutschsprachigen Forschung ist der Text nahezu unbekannt, nicht zuletzt, weil er nur in einer schwer zugänglichen Edition vorliegt und nie ins Deutsche übersetzt wurde. Diesem Desiderat einer Neuedition und Übersetzung widmet sich eine internationale und interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Nachwuchswissenschaftler*innen, deren Mitglieder sich aus den Disziplinen Kunstgeschichte, Philologie, Archäologie, Geschichte, Philosophie und Romanistik rekrutieren. Methodisch ist dabei eine streng textorientierte Herangehensweise verpflichtend, die neben den Inhalten insbesondere auch Struktur und Form des Textes analysiert und narrative Modelle sowie kunstliterarische Topik herausarbeitet. Dies geschieht auf Basis einer intensiven philologischen Untersuchung, die durch eine breite geistesgeschichtliche Kontextualisierung ergänzt wird. Ziel des Projekts ist es, diesem für die Kunstgeschichte Neapels grundlegenden Text durch eine neue kommentierte Ausgabe einschließlich Übersetzung ins Deutsche angemessene Sichtbarkeit zu verleihen, um so die Integration des Textes in den Kanon frühneuzeitlicher Kunstliteratur zu befördern.

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